Es scheint beinah
unmoeglich all meine Gedanken der letzten Tage oder gar Stunden zu
erfassen, gleichwohl sie alle wichtig erscheinen, um nicht zu sagen
revolutionaer.
Es endet damit, dass
nichts gewiss ist und alles in staendiger Bewegung. Was fuer ein
Kontrast zum ruhigen Leben hier... Dennoch, immer lernen wir,
orientieren wir uns neu und erweitern unser Verstaendnis. Wenn das
Universum eine Tendenz hat, sich auszubreiten, hat der Mensch eine
Tendenz immer mehr zu lernen. Gefiltertes Wissen, natuerlich. Und
trotzdem ist es ein Begreifen, mal mehr mal weniger, mal schneller
mal langsamer. In gewissem Sinne widerspricht das dem angenehmen
Gefuehl einer Erkenntnis. Denn wo immer mir ein Licht aufgeht, liegt
nur weitere Dunkelheit dahinter, jeder erklommene Gipfel eroeffnet
den Blick auf weitere Gipfel.
Aber seien wir mal
nicht so pessimistisch, auch mit den Erkenntnissen laesst sich was
anfangen. Es spricht nur die Ungeduld aus mir,
Am Anfang stand der
Wunsch hier mal zur Ruhe zu kommen. Ausgerechnet in Indien!, koennte
man denken. Aber halt, wir sind in Auroville, das ist nur bedingt
Indien. So wie Berlin weder Ost noch West war, und so wie die Mayas
nicht von DEM Ende gesprochen hatten. Auroville wird als utopische
Stadt bezeichnet, was das genau heisst, muessen wir noch rausfinden.
Auf jeden Fall werden wir hier kaum Durchfall kriegen, ueberfallen
werden oder grossartig uebern Tisch gezogen.
Man muss sich nach
Ankunft registrieren, entlang der Strassen (auf denen kaum Autos,
sondern mehr Mopeds fahren) stehen vor allem nachts Sicherheitsposten
und alles Essen und Trinken ist quasi Bio. Klar, wenn man die Leute
so sieht und hoert draengt sich das Wort “Hippies” foermlich
durch die Organe ins Gedaechtnis, aber es gibt kein Alkohol und keine
Drogen. Zumindest nicht zu kaufen. Was die Mentalitaet betrifft,
dafuer brauchen wir noch eine Weile um das zu begreifen.
Sehr indisch ist
allerdings das Essen, einige eher spartanisch gebaute und
eingerichtete Huetten, die Stromausfaelle, und keine Verabredungen zu
treffen, die konkrete Zeiten beinhalten. Es passiert wie's passiert,
oder auch nicht.
Obwohl man also weniger
Stress hat als an jedem anderen Ort in Indien, ist es
gewoehnungsbeduerftig. Keine Hektik zu haben kann auch eine Art
Stress sein. Kurz vor Weihnachten haben wir uns noch mit einem
Dutzend Leuten innerhalb weniger Tage getroffen und unsere sozialen
Pflichten mit groesster Freude im Uebersoll erfuellt, nun verbringen
wir einen ganzen Monat mit gerade mal einem Dutzend Terminen. Der
Kopf weiss vor Schreck gar nicht womit er sich beschaeftigen soll.
Sehr gut, das ist die Entschleunigungstherapie auf die ich gehofft
hatte. Anstrengend, aber es dadurch entsteht Raum fuer all die Dinge,
die im Vorreise-/ Grossstadt-/ Vergnuegungsstress untergegangen sind.
Wie zum Beispiel: Musik hoeren. Nicht nur nebenbei, sondern mit
voller Aufmerksamkeit, um Instrumente, Stimmen und Worte zu hoeren,
die einem sonst verborgen geblieben sind. Oder ein Instrument lernen.
Klaus und ich wollten schon immer mal Trommeln lernen, jetzt hatten
wir die Gelegenheit, und zwar von einem ziemlich erfahrenen
Peruanischen Jazzmusiker. Und noch ein Beispiel: Endlich koennen wir
ganz in Ruhe... ruhen. Unterm Moskitonetz bei einem
Mittagsschlaefchen, in der Haengematte wenn andere spontan jammen
oder draussen bei einem suessen schwarzen Tee um 10 Uhr in der
Arbeitspause. Man muss schon sagen, wir leben ein sehr angenehmes
Leben hier...
von Lia
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